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Nachgefragt

Die digitale Transformation gestalten: Im Gespräch mit Jens Pittasch über Fallstricke und Erfolgskonzepte

Vom Marketing vielfach gepusht, als Megatrend gehypt und kontrovers diskutiert ist die »Digitale Transformation« in aller Munde. Einigkeit besteht darüber, dass sich Unternehmen dem Thema nicht entziehen können, um im Wettbewerb der Zukunft Schritt halten zu können. Nicht ganz so einig sind sich Wirtschaft, Wissenschaft und Politik darüber, worauf es bei der Digitalisierung wirklich ankommt und wie man diese am besten angehen sollte. Verwunderlich ist das nicht, da der Begriff der Digitalisierung als Oberbegriff für diverse Konzepte, Handlungsfelder und Technologien zu verstehen ist und je nach Kontext unterschiedlich definiert wird. Mit Begrifflichkeiten und Abkürzungen wie Industrie 4.0, IoT, Cyber-Physische-Systeme, MRK oder Machine Learning in Verbindung stehend, geht mit der Digitalisierung verständlicherweise oft Verwirrung und Zurückhaltung einher, wenn es darum geht die Digitalisierung und Automatisierung der eigenen Unternehmensprozesse anzugehen. Insbesondere bei kleinen und mittelständischen Unternehmen kommt dies in gesonderter Form zum Tragen, da diese mit geringeren zeitlichen und personellen Ressourcen agieren müssen.

Aber wie sieht es denn nun mit der Digitalisierung im brandenburgischen Mittelstand aus und was gilt es zu beachten, wenn man die Möglichkeiten der digitalen Transformation für sich und sein Unternehmen optimal nutzen will? Gemeinsam mit Jens Pittasch, Leiter des P.I.S.A. Projektes, gehen wir dieser Frage nach. Bereits seit 25 Jahren begleitet der Experte für Geschäftsfeldentwicklung, Leistungsmanagement und Wirtschaftsförderung Unternehmen u. a. dabei, die digitale Transformation anzugehen und Prozesse dementsprechend zu gestalten.

Herr Pittasch, noch im letzten Jahr konnte man in der Benchmark-Studie „Digitalisierungsindex Mittelstand“ lesen, dass in Brandenburg der Anteil der Unternehmen, die dem digitalen Wandel bislang nur wenig oder keine Beachtung schenken, überdurchschnittlich groß ist. Wie schätzen Sie die Situation ein? Inwieweit ist ein Bewusstsein über das Thema und dessen Relevanz angekommen?


Hier lohnt ein Blick auf die Struktur der brandenburgischen Unternehmen. „Mittelstand“ ist man bei uns bereits mit 50 Mitarbeitern, nur wenige Firmen erreichen dreistellige Angestelltenzahlen. Über 90 % sind teils sehr viel kleiner. Und diese 90 % sind zugleich die in der Frage genannte überdurchschnittlich große Anzahl. Also umgekehrt gesprochen: Bei den Betrieben ab 50 Mitarbeiter ist neben dem Bewusstsein, dass in Sachen Digitalisierung etwas passieren muss, häufig auch erste Aktivität zu erkennen. Auch die Inhaber vieler kleinerer Firmen wissen durchaus, dass etwas auf sie zukommt, können dem jedoch im Tagesgeschäft keine Beachtung schenken und ob klein oder mittel: Kaum ein Unternehmer liegt in seiner Einschätzung der Anforderungen und der Folgen der Nichtbeachtung des digitalen Wandels richtig.

Nicht selten werden Unsicherheiten bezüglich der technischen Möglichkeiten sowie Unkenntnisse über die damit verbundenen Nutzeneffekte und Risiken als Ursache für das teilweise verhaltene Voranschreiten der Digitalisierung genannt. Welche Schwierigkeiten bzw. Digitalisierungshemmnisse begegnen Ihnen bei Ihrer Arbeit am häufigsten?

Das größte Hemmnis ist die Zeit. In kleinen und mittleren Unternehmen gibt es keine Freiräume, die Perspektiven ausreichend im Blick zu behalten. Und dann sprachen wir im Vorfeld über die Begriffsverwirrung. Der typische Unternehmer hört „Digitalisierung“ und meint, das sei wie immer: Ein Upgrade hier, den Server erweitern da, dazu vielleicht etwas, dass das viele Papier reduziert, fertig. Nur ist das falsch. Jetzt geht es um die digitale Transformation. Anstatt einen bestehenden Prozess 1:1 zu digitalisieren, wird überlegt, ob man diesen überhaupt noch, beziehungsweise noch in bisheriger Form, benötigt. Dies setzt voraus, die bestehende Arbeitsweise in jedem Punkt neu zu betrachten. Und ja - an dieser Stelle sind Unsicherheiten und Unkenntnisse gegeben. Denn diese digitale Überarbeitung von Prozessen ist aus dem Betrieb heraus nicht mehr zu leisten, sondern nur von Digitalisierungsexperten mit unternehmerischem Wissen. Hier verlässt der Unternehmer also vertrautes Terrain, muss externen Rat hinzuziehen und Verantwortung für entscheidende Vorgänge delegieren. Das ist ein erheblicher Schritt, der nicht leicht fällt und absolut auch Risiken mit sich bringt. Zugleich ist er unvermeidlich und die Wirkung, richtig gemacht, ein enormer Effizienzschub.

Das Backoffice bzw. der Verwaltungsbereich der Brandenburger Unternehmen ist weitestgehend digitalisiert, Zulieferer- und Kundenschnittstellen stehen ebenfalls im Fokus, ein gewisser Digitalisierungsrückstand ist allerdings in der Produktion zu beobachten – so eine Kernaussage der Studie „Arbeit 4.0 in Brandenburg“. Spiegelt sich diese Aussage in den Erfahrungen aus Ihrer der täglichen Arbeit wieder? Gibt es Themen, die besonders oft auftauchen oder eine besondere Bedeutung haben?

Jein. Denn diese Betrachtung geht am Kern der Aufgabe vorbei. Ja, natürlich gibt es Software in allen möglichen Bereichen. Und ja, die Produktion und Fertigung hat einen Rückstand. Die Schlussfolgerung daraus ist jedoch nicht, jetzt die Produktion - bitte in Anführungszeichen zu sehen - zu „Digitalisieren“. Stattdessen müssen die Gesamtprozesse auf den Prüfstand der digitalen Transformation. Und dann wird klar, dass auch die meisten Alt-IT-Lösungen in Backoffice oder Verwaltung diesen Anforderungen nicht gewachsen sind. Hier singulär die Produktion zu digitalisieren wäre Stückwerk, das nach hinten losgeht. Statt durchgängiger digitaler Prozesse würde man eine bereits heterogene IT-Landschaft verschlimmbessern und das Unternehmen an die Wand fahren.

Und die Themen: Die Vorstellungen der Unternehmer sind meist diffus. Man ärgert sich über Vorgänge, die nicht laufen, Funktionen, die fehlen und nicht miteinander verbundene Teillösungen. Die vorhandene IT ist häufig eher notwendiges Übel, als Hilfe. Klar werden Produktion und Fertigung als Themen genannt, vordergründig jedoch behindert der generell zu hohe IT-Aufwand.

Von der Ideen- und Konzeptentwicklung über die Auswahl von geeigneten Maßnahmen und Technologien bis hin zur tatsächlichen Umsetzung bzw. Einführung dieser, ist die Digitalisierung und Automatisierung von Unternehmensprozessen ein komplexes Unterfangen. Während das Thema in der Vergangenheit insbesondere unter technologischen Gesichtspunkten diskutiert wurde, rücken vermehrt organisatorische Aspekte in den Vordergrund. Spielen Themen wie Innovations-, Technologie- oder Veränderungsmanagement in den Köpfen der Unternehmer eine Rolle?

Nicht unter diesen Überschriften. Das ist schlicht nicht die Denkweise eines kleinen oder mittleren Unternehmers. Führt man diese Schlagworte an, erntet man - zu Recht - Vorbehalte. Es gibt nur ein Thema: Der Betrieb muss laufen!

Im Tagesgeschäft werden die in der Frage genannten Themen nicht unter theoretisch-akademisch-systematischen Gesichtspunkten betrachtet. Diese Diskussion findet nicht in den Betrieben statt, sondern in Arbeitsgruppen fern der KMU-Praxis. Mit den Augen des Praktikers gesehen ist es seltsam, die genannten Bereiche überhaupt getrennt zu betrachten.

Zunächst einmal wird es keine erfolgreiche Veränderung geben, die nicht von den Mitarbeitern getragen wird. Die schwierigste Aufgabe, nicht erst seit der digitalen Transformation, ist es, die von den Prozessen betroffenen, die Tätigkeiten ausführenden Menschen zu motivieren, ihnen klarzumachen, was, warum und mit welcher Wirkung beabsichtigt ist und wie der Weg verläuft. Dieser Weg besteht aus Methoden und Mitteln, aus Prozessen und Technologien.

Sie haben mehr als 80 Unternehmen im Bereich der digitalen Transformation, der Geschäftsfeldentwicklung sowie bei der Prozessoptimierung und Leistungssteigerung unterstützt und begleitet. Ist Ihnen ein Unternehmen besonders im Kopf geblieben, dass ausgesprochen erfolgreich war oder aber sich als „besonders harte Nuss“ erwiesen hat?

Nein. Es sind Unternehmer. Sie haben eine Geschäftsidee und sind ansonsten normale Menschen. Harte Nüsse haben sie überwiegend außerhalb ihrer Betriebe zu knacken. Beispielsweise um Förderungen in Anspruch zu nehmen oder sonstige Auflagen und Anforderungen aus Verwaltungs- oder Rechtsvorschriften zu erfüllen. In diesen Bereichen sind alles harte Nüsse, die dem unternehmerischen Erfolg massiv im Wege stehen. Bei dieser Kritik geht es mir nicht darum, DASS Dinge geregelt sind, sondern WIE. Beispielsweise redet Politik gern - und genau unter den verkopften Schlagworten oben - von der Digitalisierung, sind jedoch nahezu keine Verwaltungsvorgänge digital verfügbar. Und wenn doch, dann oft undurchdacht, praxisfern, funktionell nutzlos und noch mehr Aufwand verursachend. Glücklicherweise ist es unser Tagesgeschäft, genau an diesen Stellen die Unternehmer zu entlasten, die Kosten durch Fördermittel zu reduzieren und die Dinge trotz aller Hindernisse erfolgreich zu machen.

Haben Sie aus dieser Sicht ein interessantes Erfolgsbeispiel?

Durchaus. Gerade unter dem Aspekt der Förderung der Digitalisierung sind alle derzeitigen Vorhaben Erfolgsbeispiele. Die Zuschüsse gestatten es, digitalen Schwachstellen mit fundierten Konzepten zu begegnen und diese mit hoher Perspektivorientierung umzusetzen. Beispielsweise bestand in einem Fertigungsunternehmen der Metallbranche zunächst die noch unkonkrete Absicht, Vorgänge im Auftragswesen, beim Materialeinsatz und in der Auslastung irgendwie zu verbessern und dafür vielleicht die Bestandslösung zu erweitern. In der gemeinsamen Betrachtung traten wir dann den beschriebenen Schritt zurück, um den Blick im Sinne der digitalen Transformation zu weiten. Im Ergebnis der Konzeption werden wir eine IT-Gesamtlösung einführen, die fachlich sehr nah ab den Unternehmensabläufen ist, alle Prozesse homogen verbindet und bisher manuelle Arbeitsschritte regelgesteuert, automatisiert zusammenfasst. Viele Aufgaben werden damit erstmals digital gelöst, besonders in den Übergängen von Vertrieb, Auftragswesen, Konstruktion, Fertigung und Kontrolle. Alles was passiert ist transparent und nachvollziehbar, und besonders wichtig, jeder Mitarbeiter hat zu jeder Zeit genau den benötigten Überblick. Nichts wird vergessen, Erfolg ist messbar, mögliche Problemstellen werden rechtzeitig erkannt und münden in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Die Leistungssteigerung für das Unternehmen wird markant sein. Und die IT-Lösung wird zukünftigen Entwicklungen nicht mehr hinterherhinken, sondern systematisch und skalierbar deren Weg bereiten.

Welchen Rat würden Sie Unternehmen abschließend mit auf den Weg nehmen, die die Digitalisierung erfolgreich angehen wollen?

Sie müssen es TUN! Und es geht NICHT ALLEINE!

Der Punkt ist, dass wir in den nach 30 Jahren immer noch neu genannten Bundesländern gerade erst den Stand erreicht haben, dass sich einige Unternehmen eine gute geschäftliche Position geschaffen haben. In diesen ist auch das Bewusstsein hoch, dass neue digitale Wege zu gehen sind.

Problematisch ist, dass kaum ein Unternehmen ausreichend Eigenkapital und auch sonst keine Ressourcen hat, um die erforderlichen Schritte aus eigener Kraft zu stemmen. Unterbleibt der Weg zur digitalen Transformation aber, wird es diese Betriebe in 3-5 Jahren nicht mehr geben. Der Performance-Unterschied zwischen modernisierten und nicht modernisierten Unternehmen wird gravierend sein. Noch schwieriger ist das für die Firmen, die ihren geschäftlichen Platz noch finden, denen also in ihrem Kerngeschäft noch eine grundlegende Stabilität fehlt. Sie werden diese ohne digitale Verbesserungen nicht erreichen, sondern im Wettbewerb abgehangen. Entscheidend ist also, alle KMU zu unterstützen und insbesondere die in Brandenburg außerordentlich gute Digitalisierungsförderung und die allgemeine Investitionsförderung über 2020 hinaus fortzuführen.

 


ÜBER DEN AUTOR

© Christiane Schleifenbaum Fotografie

Jens Pittasch, Leiter des Beratungsnetzwerks P.I.S.A. Projekt, ist seit 1994 tätig in den Bereichen Geschäftsfeldentwicklung, Projektmanagement, Lösungsentwicklung und Marketing für Wirtschaft, Forschung, Politik und Einrichtungen. Schwerpunkte der mehr als 80 verantwortlich realisierten Vorhaben bilden Unternehmenserweiterung, Investitionsförderung, Innovations- und Ansiedlungsmanagement, Maßnahmen zur digitalen Transformation im Mittelstand und das Projektmanagement von der unternehmerischen Idee über die realisierungsfertige Konzeption, die Finanzierung bzw. Förderung bis hin zur lauffähigen Umsetzung.

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